Für Flachlandmenschen wie mich ist es immer wieder ein Erlebnis, in den Bergen aufzuwachen. Die Sonne scheint nicht direkt ins Zimmer, sondern schiebt nach und nach ein paar Strahlen über die Bergkuppen zu meinem Fenster.
So wacht es sich sanfter auf, besonders wenn man dann vom Balkon auf eine unter gold durchleuchteten Nebelschwaden daliegende Landschaft schaut.
Wenn es dann noch nach Bergwiese und blühenden Almkräutern riecht, ist das ein ziemlich glücklicher Start in den Tag. Im Lungau sind die Berge keine schroffen Felswände, sondern oft eher sanft ansteigende Kolosse, die auch im Tal weite Sicht ermöglichen.
Zirben – Überlebenskünstler in den Alpen
Ich bin ein bisschen aufgeregt, denn für heute steht königlicher Besuch auf dem Programm; heute treffe ich die Zirbe, die Königin der Alpen.
Die Zirbe gibt es nur in den Alpen, sie ist spezialisiert auf steinige Böden und Höhenlagen, in die sich andere Bäume niemals wagen würden. Die Zirbe ist eine auf die Alpen spezialisierte Kiefernart – auch unsere Kiefern sind sehr genügsam, was Boden und Nährstoffe angeht.
Zirbenduft hilft in den Schlaf
Zirbenholz wirkt beruhigend und schlaffördernd. Ich habe mein Kopfkissen zu Hause mit Zirbenspänen gefüllt, der Duft hilft mir jeden Abend, zur Ruhe zu kommen. In einem Bett aus Zirbenholz kann man sogar bis zu 3500 Herzschläge pro Nacht sparen, so sehr beruhigt der Holzduft.
Der gesundheitsfördernde Effekt des Holz wurde erst spät entdeckt. Hier im Lungau leben die Menschen traditionell in Zirbenstuben und man konnte sich lange nicht erklären, warum sie alle so alt und nie krank wurden. Bis man durch Studien auf die Wirkung der Pinene im Holz stieß.
Umso gespannter bin ich, den Baum mal live zu erleben.
Warum Kuh- Ernährung für die Milch wichtig ist
Unsere Wanderung führt durch das Biosphärenreservat Lungau. Das sind keine reinen Naturschutzgebiete, sondern Zonen, die besonders nachhaltig bewirtschaftet werden.
Wir laufen ein Stück entlang der Longa, deren Eiswasser karibisch blau leuchtet. Wir begegnen Kühen, die ein freundliches Muh-Konzert anstimmen, als wir vorbeilaufen. Sie haben Glück, sie weiden auf Bergwiesen mit vielen gesunden Kräutern und trinken frisches Quellwasser. Die meisten ihrer deutschen Kollegen können von solchen Zuständen nur träumen und bekommen ausschließlich Silage und eine speziell gezüchtete Grassorte, die sie noch mehr Milch produzieren lässt.
Die Ernährung und das Wohlbefinden einer Kuh wirkt sich direkt auf die Qualität ihrer Milch aus. Deshalb ist der österreichische Bergkäse oder die Heumilch so berühmt, indirekt enthält beides viele Kräuter, die die Kühe hier jeden Tag fressen.
Traumlandschaft mit Almrosen und Küchenschellen
Wir wandern vorbei an Wasserfällen und bunt blühenden, duftenden Wiesen.
Die Nadelbäume hüllen uns in eine erfrischend ätherische Duftwolke, in ihrem Schatten wandert es sich auch bei Hitze gut. Greifvögel ziehen ihre Kreise, majestätisch auf uns herabblickend.
Allmählich verändert sich die Landschaft, die ersten Alpenrosen setzen rosa Tupfer auf die Wiesen. Küchenschellen wiegen ihre langen Haare im Wind.
Hier tauchen die ersten Zirben auf. Sie sind wirklich wahre Baumköniginnen und beeindrucken mit ihren dicken Wurzeln, die sie tapfer um den blanken Fels geschlungen haben, um Halt zu bekommen.
Als wäre die Landschaft nicht auch schon so ein echter Traum, liegt plötzlich ein knallgrüner Gebirgssee vor uns; der Wirpitschsee. Ganz Mutige können hier schwimmen gehen, mich versetzt schon ein eingetauchter Zeh in den Kälteschock. Stattdessen erkunde ich die Bergwiesen. Kriechender Günsel, Hauswurz und andere Prachtpflanzen gedeihen hier überall.
Tradition und Großelternwissen dürfen nicht verloren gehen
Wir kehren auf der Tonimörtlhütte ein. Kathrin und Sandra kochen hier die Gerichte, die sie von ihrer Großmutter übernommen haben und bewirten uns mit Kaiserschmarren, Knödeln und Holunderblütensaft.
Wie in vielen anderen Betrieben im Lungau geht es hier darum, alte Traditionen zu bewahren. Dabei geht es nicht nur um alte Rezepte, sondern zum Beispiel auch um alte Getreide- und Gemüsesorten.
Echt Sein – Betriebe werden sie im Lungau genannt. Die Rückbesinnung auf Althergebrachtes, Immergültiges ist in Österreich besser gelungen als in Deutschland. Hier ist man sich bewusst, dass das über Generationen weitergereichte Wissen ein Schatz ist, der für immer verloren wäre, wenn man ihn nicht pflegt.
Warum wir uns von alten, samenfeste Getreidesorten ernähren sollten
Im Lungau wächst zum Beispiel der Tauernroggen, eine ganz alte Art, deren Stängel bis 2 m hoch werden. Weil das für Mähdrescher ungeeignet ist, hat man den Roggen eine Zeit lang komplett durch neue Sorten ersetzt. Inzwischen gibt es zum Glück wieder mehr Bewusstsein dafür, wie viel uns mit alten Getreidesorten verloren geht.
Neue Hybridsorten entstehen im Labor und lassen sich so züchten, dass z.B. der Anteil von Gluten immer gleich ist. So lässt sich das Korn von Großbäckereien besser verarbeiten. Alles kann leichter standardisiert und vereinheitlicht werden.
In das Gengut von Hybridsorten wurde so eingegriffen, dass sie sich nicht mehr auf natürliche Art vermehren, sondern jedes Jahr neu gekauft werden müssen.
Leider gehen auf die Art und Weise aber auch die Nährstoffe des Getreides verloren. Die Natur lässt sich nicht einfach so in ihrem Bauplan hineinpfuschen.
Wer außer Sättigungsgefühl auch Heilkraft aus Gemüse und Getreide haben möchte, sollte unbedingt zu samenfesten Sorten greifen.
Der Tauernroggen ist eine dieser Sorten. Genau wie der Eachtling, eine alte Kartoffelsorte aus dem Lungau.
Alte Sorten sind oft auch die Lösung, wenn jemand gegen ein Obst oder Gemüse allergisch ist (z.B. gegen Äpfel).
Zirbenschnaps und Zirbenbrotkörbe
Außerdem gibt es mehrere Betriebe, die sich auf Zirbenprodukte spezialisiert haben. Bei der Wagnerei Lassacher kann man zum Beispiel die Zirbenspäne kaufen oder viele andere Zirbenholzprodukte. Das Holz macht nicht nur wegen der Herzberuhigung Sinn. Es kann auch Insekten fernhalten und hat eine desinfizierende Wirkung.
In einem Brotkasten aus Zirbe bleibt das Brot zum Beispiel länger frisch.
Ein ganz großes Highlight ist hier auch Zirbenschnaps. Und ja, wenn man es mit der Menge nicht übertreibt, kann das wie Medizin wirken. Schließlich ist eine Tinktur ja auch nichts anderes als in Alkohol konservierte Medizinpflanzen.
Den besten Zirbenschnaps habe ich beim Franzlahof getrunken.
Peter Pichler brennt hier seit 40 Jahren aus heimischen Zutaten die feinsten Spirituosen. Er produziert nicht viel, dafür aber mit viel Liebe. Inzwischen beliefert er sogar das Restaurant Steirereck in Wien.
Sein Zirbenschnaps schmeckt ganz leicht nach Lakritz und ein bisschen ätherisch. Ich finde ihn so lecker, dass ich den Franzlahof fröhlich angeheitert verlasse.
Alpenpflanzen und -tiere in Not
Die Welt wirkt im Lungau sehr intakt und ich würde gern schreiben, sie sei hier noch in Ordnung. Aber so schwer zugänglich und abgelegen eine Gegend auch sein mag, vom Klimawandel bleibt sie nicht verschont. In den Alpen verschwinden zunehmend Pflanzenarten, die auf Kälte spezialisiert sind und mit ihnen auch Tierarten.
Der Lungau ist Heimat vieler seltener Schmetterlinge, die sich teilweise von nur einer Pflanzenart ernähren können. Stirbt die Pflanze, stirbt der Schmetterling mit.
Murmeltiere und Schneehasen finden oft nicht mehr genug Futter und überleben den Winter nicht.
Über viele andere empfindliche Zusammenhänge hat das Museum in Muhr eine Ausstellung entwickelt. Sehr empfehlenswert.
Wer die Wirkung eines Zirbenbetts mal live erleben will, kann das in Lüfteneggers Lungauer Zirbenpension tun.
Ich habe im Hotel Wastlwirt übernachtet und mich sehr wohl gefühlt.